Wege in die Arbeitswelt

Das Magazin «Wege in die Arbeitswelt» wird herausgegeben von procap, dem grössten Mitgliederverband von und für Menschen mit Behinderungen in der Schweiz.

Ab Seite 13 finden Sie den interessanten Artikel über die Reintegration von Carola Staubli, welche von Hildegard Haas in der Firma ACER Schweiz an die Hand genommen und behutsam in den neuen Arbeitsbereich eingeführt wurde.

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Artikel in der Limmattaler Zeitung

Einen Sonderstatus gibt es nicht

Für einen erfolgreichen Wiedereinstieg müssen eine Reihe von Regeln beachtet werden, sagt Personalfachfrau Hildegard Haas von Acer.

Hildegard Haas findet es wichtig, den Menschen direkt zu helfen.

© ZVG

Nach einem Arbeitsunfall konnte der italienische Polier nicht mehr auf der Baustelle arbeiten. Seine zertrümmerte Hand liess dies nicht zu. Beim weltweit tätigen Hardwarehersteller Acer, dessen Schweizer Vertretung im Industriequartier Silbern ihren Sitz hat, erhielt er die Chance für einen beruflichen Neustart. Diesen hat er gepackt. Heute repariert der Polier, der sich vorher nur in seiner Freizeit mit Computern beschäftigt hatte, hauptberuflich Geräte im hauseigenen Servicecenter. Intern ist er die erste Adresse, wenn es um die neusten Technologietrends geht.

Hildegard Haas, die als Geschäftsleitungsmitglied der Acer Computer Switzerland AG auch das Personalwesen führt, ist überzeugt, dass gehandicapte und ausgesteuerte Personen mit einfachen Massnahmen wieder in den Arbeitsprozess integriert werden können. «Gerade für Menschen mit Handicaps ist die Arbeit ein wichtiger Bestandteil und die Sinnfrage sehr zentral», sagt sie. Seit 2006 hat sie einem Dutzend Personen eine zweite Chance gegeben. Ihr Geheimrezept für die erfolgreiche Wiedereingliederung ist, dass die Betroffenen keine Sonderbehandlung erhalten. Sie müssen den normalen Bewerbungsprozess durchlaufen. «Wenn ein Mensch ins Unternehmen passt, stelle ich ihn ein», sagt Haas. Auch der interne Status hebt sich nicht von den anderen Mitarbeitern ab. Neulinge stellt Haas stets als Praktikanten vor.

Bewusst Stärken hervorheben

Die Tätigkeiten der Betroffenen sind auf das Handicap zugeschnitten. Bei Acer werden die meisten zu Hardware-Technikern weitergebildet, andere übernehmen Büro- und Lagerarbeiten. Für den Neuanfang brauche es ein individuelles Training, denn viele verstünden anfangs noch nichts von der Branche. «Nach einem Jahr sind die neu eingegliederten Mitarbeiter in der Regel voll in die Arbeitsprozesse integriert», sagt die Personalfachfrau. Hilfsmittel wie eine Übersetzungstabelle erleichtern zum Beispiel die Arbeit jener Personen, die wenig Kenntnisse der deutschen Sprache mitbringen.

Beim Eintritt in das Unternehmen seien die Betroffenen häufig psychisch am Boden. «Deshalb hebe ich bewusst zuerst ihre Stärken hervor. Dadurch gewinnen sie schnell an Selbstvertrauen zurück», so Haas. Diese Veränderungen seien physisch gut sichtbar. Plötzlich sehe man die Betroffenen wieder lachen. «Sie werden Teil des Ganzen. Dadurch vergessen sie teilweise sogar ihre Schmerzen», sagt die Kaderfrau, die sich berufsbegleitend zum Coach ausbilden liess. Die einzelnen Schwächen könnten auch später noch ausgebügelt werden.

Die Freude, die den Betroffenen ins Gesicht geschrieben steht, ist das, was Haas motiviert. «Ich habe auch schon einen Kuchen von einer Ehefrau erhalten, weil ich dem Leben ihres Mannes wieder Sinn gegeben habe», sagt sie. Es ist ihr deshalb wichtig, dass die Betroffenen eine echte Chance erhalten und nicht nur als billige Arbeitskraft eingestellt werden. «Durch das soziale Engagement sind wir viel näher am Menschen und können direkt etwas bewirken», sagt Haas.

Wertschätzung zahlt sich aus

Sie kann vier von fünf Mitarbeitern, die im Rahmen der Wiedereingliederung einen Arbeitsversuch machen, eine neue Perspektive geben. Ein Angestellter habe sogar bereits die Firma gewechselt. Anfänglich musste Haas für das soziale Engagement des Unternehmens kämpfen. Nach den guten Erfahrungen lasse ihr die Geschäftsleitung heute freie Hand. Unterstützung erhalte sie dabei vom taiwanesischen Mutterhaus, das sich die Übernahme von sozialer Verantwortung auf die Fahne geschrieben hat.

Auch bei den Mitarbeitern stosse das Engagement auf grossen Zuspruch, weil sie wissen, dass ihr Unternehmen sie in einer Notsituation nicht fallen lässt. «Die gute Energie, die durch die Wertschätzung erzeugt wird, kommt in Form von Treue und Leistung zurück», so Haas. Dennoch will sie die Mitarbeiter nicht mit Samthandschuhen anfassen: «Trotz allem haben wir hohe Anforderungen, wiedereingegliederten wie auch anderen Mitarbeitern gegenüber.» (Tam)

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Offen für Neues

Bildschirme, so weit das Auge reicht. Grosse, kleine, mittelgrosse, Desktop-Computer, Laptops, Tablets – im Acer Outlet Store in Dietikon präsentiert sich der Kundschaft die breite Produktepalette. Hildegard Haas, Country HR & Service Manager, arbeitet bereits seit 16 Jahren bei Acer Computer. Während der Betrieb damals noch einem Start-up glich, arbeiten heute 54 Mitarbeitende in der Computerfirma. Das Geschäft wuchs, der Bedarf an Personal stieg. Hildegard Haas wollte sich sozial engagieren, der Gesellschaft etwas vom Erfolg zurückgeben. Dies jedoch nicht in Form von Spenden, sondern durch direkte individuelle Förderung.

Erste erfolgreiche Eingliederung einer Frau mit starken Rückenschmerzen, die nicht mehr im Gastgewerbe tätig sein konnte. Hildegard Haas bot ihr zunächst einen Praktikumsplatz im Telefondienst an. «Ich probierte es einfach, warum auch nicht», blickt Hildegard Haas zurück, «am Anfang war sie noch sehr schüchtern, traute sich nicht, vor den anderen zu telefonieren. Ich bot ihr an, es in meinem Einzelbüro zu versuchen, um etwas Selbstvertrauen zu gewinnen.» Die Sicherheit kam zurück, sie arbeitet heute als Sachbearbeiterin bei Acer.

Die Entwicklung der Mitarbeitenden bestätigt das Engagement von Hildegard Haas. Während am Bewerbungsgespräch noch alle schüchtern und mit wenig Selbstvertrauen vor ihr sassen, konnten ihre Leistungen stetig gesteigert werden. Sie sind heute offener und mit grösserer Freude an der Arbeit. Nach einem Unfall in der Lederproduktion konnte eine Frau nicht mehr in diesem Betrieb bleiben. Die Lederwalze hatte ihre Hand zertrümmert, starke Schmerzen plagten sie. Da sie keine Ausbildung hatte, erhielt sie bei Acer zunächst einen Praktikumsplatz in der Logistik. Sie hatte noch nie am Computer gearbeitet, trotzdem versuchten sie den Einstieg in eine Bürotätigkeit. Sukzessive wurde sie in die neue Tätigkeit eingeführt und arbeitet heute als Sachbearbeiterin.

«Ich freue mich, wenn ich jemandem eine Perspektive und die Zuversicht geben kann, dass es weitergeht», beschreibt Hildegard Haas ihre Motivation. Als ein Mann, der infolge eines Unfalls seinen rechten Arm verloren hatte, vor ihr sass, war sie bewegt von seinem Gesichtsausdruck. Sie fragte sich, welche Stelle sie ihm bei Acer ermöglichen könnte. Da alle Reparaturen in Dietikon erfolgen, braucht es ein Lager mit allen Ersatzteilen. Der Lagerbestand muss regelmässig überprüft und bei Bedarf neu bestückt werden. Die kleinen Teile sind nicht schwer und lassen sich gut mit einer Hand in die Regale auffüllen. Der neue Arbeitsbereich für ihn war gefunden. Während er sich zu Beginn für sein Handicap noch geschämt habe, habe er durch die Integration ins Team an Selbstvertrauen gewonnen und zeige nun auch seine Prothese.

Individuelle Lösungen

Die Integration von Menschen mit den unterschiedlichsten Geschichten habe das Arbeitsklima positiv verändert. Es gebe auch den anderen Angestellten die Sicherheit, dass Acer sie in schwierigen Situationen nicht hängen lässt und unterstützend zur Seite steht. Bisher erhielten vier langjährige Mitarbeitende entsprechende Unterstützung für einen Wiedereinstieg.

Breit abgestütztes Engagement

«Der Erfolg lässt sich nicht in Zahlen messen. Einzig Zeit und Leidenschaft müssen wir investieren. Der Gewinn sind langjährige Mitarbeitende, die das gesamte Team mitziehen», zeigt Hildegard Haas den sozialen Mehrwert des Integrationsengagements auf. Der sechsmonatige Arbeitsversuch, bei dem die IV die Kosten trägt, biete eine gute Möglichkeit, um festzustellen, ob die neue Person ins Team passe oder nicht. Die Kosten der Einarbeitungszeit seien dadurch gedeckt. Doch des Geldes wegen Arbeitsversuche zu machen, sei zu kurzfristig gedacht. Die Nachhaltigkeit zeige sich an der Treue und Zufriedenheit der Mitarbeitenden.

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